"Heiraten Sie doch, dann sind Sie aus Hartz IV heraus...!"
Diesen gut gemeinten Rat gab eine Jobcentermitarbeiterin ihrer Kundin, die mit ihrem Lebenspartner in einer Bedarfsgemeinschaft lebte.
Sicherlich gibt es angenehmere Gründe, über eine Eheschließung nachzudenken - diesen Tipp aber, als Wunsch einer Behörde vorgebracht, befremdet sicherlich ein wenig. Trotzdem möchten wir diese Idee mit dem GBSim-Modul aufgreifen.
Das Ergebnis wird Ihnen wie eine Realsatire vorkommen, ist aber genauso ernst gemeint wie die Aufforderung der JC-Mitarbeiterin.
Kann Hartz IV durch Eheschließung umgangen werden - spart das Jobcenter dadurch etwas?
Für diese Frage müssen mehrere Faktoren bewertet werden - das GBSim macht dies automatisch für Sie:
- Durch Eheschließung verändert sich die steuerliche Betrachtung des Einkommens - es gibt mehr Netto bei gleichem Brutto.
- Ein Mehr an Netto bewirkt ein Weniger an Aufstockung durch das Jobcenter, weil der Nettobedarf der Gemeinschaft der Gleiche bleibt.
Betrachtung vor eventueller Eheschließung
Treffen wir eine Annahme
Mann 50, Frau 50, Wohnung 60 m² (KdU - Kosten der Unterkunft - 436,00 €) - beide ohne Arbeit
Gesamtbedarf 1.166 €
Da das Jobcenter für beide Personen auch noch die Kranken- und die Pflegeversicherung bezahlen muss, sieht die Ausgabenseite wie folgt aus:
Mann | Frau | Anspruch nach SGB II | |
---|---|---|---|
Grundsicherung | 368,00 € | 368,00 € | 736,00 € |
Miete | 291,60 € | ||
Nebenkosten | 75,60 € | ||
Heizung | 70,80 € | ||
Anspruch Gesamt |
1.174,00 € | ||
Krankenversicherung | 92,54 € | 92,54 € | 185,08 € |
Pflegeversicherung | 18,09 € | 18,09 € | 36,18 € |
Ausgaben Gesamt |
1.395,26 € |
Wir verändern die obige Annahme:
Der (noch unverheiratete) Mann in obigem Beispiel kann 10,65 € Stundenlohn bekommen bei 40 Stunden Wochenarbeitszeit, die restlichen Parameter lassen wir unverändert.
Bruttogehalt 1.846,00 €
Nettogehalt 1.278,500 €
Das Nettogehalt der Bedarfsgemeinschaft liegt jetzt um 106,- € über dem Gesamtbedarf, was Unbedarfte zu der Schlussfolgerung führt, dass kein weiterer Anspruch mehr bestünde.
Anrechenbares Einkommen ist geringer als der Gesamtbedarf
Da Ihnen die Berechnung nach § 11 b SGB II bekannt ist (falls nicht, klicken Sie hier), wissen Sie, dass das anrechenbare Einkommen (Nettogehalt nach Abzug der Absetzbeträge von insgesamt 300 €) nur 978,- € beträgt und somit eine Unterdeckung von 194,- € besteht.
Brutto | Prozent | Betrag | Netto | Anspruch nach SGB II |
---|---|---|---|---|
1.172,00 € | ||||
1.846,00 € | 1.278,00 € | |||
0 - 100 € | 100,00 € | - 100,00 € | ||
>100 <= 1.000 € | 20 % | 180,00 € | - 180,00 € | |
> 1.000 <= 1.200 € | 10 % | 20,00 € | - 20,00 € | |
anrechenbares Einkommen |
978,00 € | - 978,00 € | ||
Lücke zur Deckung des Gesamtbedarfs |
194,00 € |
Wie würde in dieser Betrachtung (mit Arbeit, aber unverheiratet) die Kostenseite des Jobcenters aussehen?
Mann | Frau | Anspruch nach SGB II | |
---|---|---|---|
Grundsicherung | 0 € | 0 € | 0,00 € |
Miete | 77,89 € | 77,89 € | 155,78 € |
Nebenkosten | 10,24 € | 10,23 € | 20,47 € |
Heizung | 8,90 € | 8,90 € | 17,80 € |
Anspruch Gesamt |
194,05 € | ||
Krankenversicherung | 92,54 € | 92,54 € | 185,08 € |
Pflegeversicherung | 18,09 € | 18,09 € | 36,18 € |
Ausgaben Gesamt |
415,31 € |
Betrachtung nach eventueller Eheschließung
Alle Grundlagen bleiben gleich, durch Anwendung der Splittingtabelle bekommt der Verdiener jetzt ein höheres Nettogehalt.
Brutto | Prozent | Betrag | Netto | Anspruch nach SGB II |
---|---|---|---|---|
1.172,00 € | ||||
1.733,33 € | 1.462,47 € | |||
0 - 100 € | 100,00 € | - 100,00 € | ||
>100 <= 1.000 € | 20 % | 180,00 € | - 180,00 € | |
> 1.000 <= 1.200 € | 10 % | 20,00 € | - 20,00 € | |
anrechenbares Einkommen |
1.162,47 € | - 1.162,47 € | ||
Lücke zur Deckung des Gesamtbedarfs |
9,53 € |
Wie würde in der Betrachtung nach Eheschließung die Kostenseite des Jobcenters aussehen?
Nun - ganz einfach:
Höheres Netto führt zu Reduzierung ergänzender Leistung - das Jobcenter muss somit (412,56 - 230,80) = 181,76 € weniger Geld ausgeben - Monat für Monat.
Vielleicht ist das Jobcenter bereit, die Hochzeit auszurichten und setzt die Jahresersparnis von 2.181 € ehestiftend ein?
<Satiremodus ein>Vor meinem geistigen Auge sehe ich das Hinweisschild, das in der Realität leider (noch) nicht existiert:
Ein konsequent weitergeführter Gedanke der Aufforderung der Jobcenter-Mitarbeiterin - ich bin sicher, es würden weit mehr Menschen wieder ans Heiraten denken. </Satiremodus aus>
Adalbert Jablonski
Project Coordinator